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KW 16 · 23. April 2020 · Politik

Merkel und die Kanzlermarken

Foto Merkel und die Kanzlermarken

 

„Ja, ja, Du bist mir eine Marke“. Umgangssprachlich verwenden wir diese Zuordnung zumeist dann, wenn jemand mit ganz typischen Besonderheiten auffällig ist. Das Urteil kann gleichermaßen anerkennend, wie kritisch gemeint sein. Ich selbst sehe darin eher einen wohlmeinenden Kommentar, der aber mindestens auch ausdrückt „ich bin anders“.

 

Helmut Schmidt – um die Kurve zur Politik zu meistern – war so eine Marke. Spätestens nach seiner Amtszeit. Das Rauchen war sein markantestes Symbol dafür. Rauchen bei jeder Gelegenheit, Rauchen im hohen Alter, Rauchen während des TV-Interviews, Rauchen gegen jede Konvention. Man ließ es ihm durchgehen…

Ja, er hatte auch etwas zu sagen. Seine gesellschaftlichen und weltökonomischen Aussagen waren Botschaften pragmatischer Vernunft und philosophischer Tiefe. Sein politisches Wirken war geprägt durch klares Krisenmanagement, konsequente Entscheidungen, positionsstarke Kommunikation. Diese an inneren Werten und Überzeugungen vorgelebte Verantwortung hat ihn für viele Menschen zu einer moralischen Instanz werden lassen. Die Marke lebt, das werden Anhänger und inhaltlich anders Denkende gleichermaßen anerkennen.

 

Gerhard Schröder wird es damit schwerer haben. Auch er hat sicher genügend Auffälligkeiten zu bieten. „Hol mir mal ne Flasche Bier“ war mir in der damaligen Situation durchaus sympathisch. Er wirkte hemdsärmelig, gesellig und ein wenig arrogant dominant zu gleicher Zeit. Und auch er ist in seiner Amtszeit staatsmännischer Verantwortung gerecht worden. Eine bewundernswerte Haltung in der Irak-Krise, schwierige Entscheidungen zu anderen Konfliktherden und dieser große Einschnitt in die Strukturen unseres Sozialsystems. Ein von vielen als notwendig erachteter, ja sogar überfälliger Schritt, hatte in der Agenda 2010 eigentlich eine zukunftsorientierte Zielstellung. Als Umsetzungsresultat bleibt jedoch das Hartz-IV-Menetekel in Erinnerung.

In ihrer Wirkung wurden die Hartz-IV-Regularien als gegen seine eigentlichen ‚Anhänger‘ gerichtet empfunden. Die soziale Marktwirtschaft als ausgleichendes Fundament unserer Gesellschaft wurde weniger sozial und damit auch abnehmend konsensbildend. Das entsprach sicher nicht dem Mandat der Muttermarke SPD. Und trotzdem war es seine persönliche Führungsverantwortung, so zu handeln. Die Brüche waren auch Folge der ungeklärten Zukunftsausrichtung der SPD selber. Bis heute hat sie damit zu tun. Und Altkanzler Schröder hat auch im Nachgang unverständliche Brüche produziert, die es seiner Markengefolgschaft schwer machen…

 

Angela Merkel ist noch nicht so weit. Sie ist im Amt und führt es in einer ihr typischen Weise aus. Viermal wurde sie dafür gewählt, wurde ihr die Kanzlerschaft anvertraut. Am schon vorbestimmten Ende werden es 16 Jahre Regentschaft sein – wie bei ihrem politischen Förderer Helmut Kohl. Allein diese Zeitspanne setzt eine Marke. Dreimal wiedergewählt, wie auch Konrad Adenauer. Gemeinhin nennt man dies eine Ära. Wie hat sie das geschafft? Was wird man mit ihrer Zeit verbinden? Braucht sie Auffälligkeiten oder öffentliches Agieren auch nach ihrer Amtszeit, um als Marke, also markant, in Erinnerung zu bleiben?

 

Nun, eine Auffälligkeit hat sie ja: die Merkel Raute, schon das ein Markenzeichen. Für mich ist es ein Symbol - für Ausgewogenheit, für Ordnung. Alles ist im Rahmen, alles geklärt.
Ihr Regierungsstil entpuppte sich als sehr pragmatisch, „auf Sicht fahren“ wird es manchmal kritisch genannt. Sich den Aufgaben stellen, analysieren, bewerten, vertreten. Vielleicht typisch für eine Naturwissenschaftlerin. Fakten sammeln und schlussfolgern. Und die Umsetzungslösung zusammen mit deren Konsequenzen und noch mehr die Folgen eines Unterlassens überzeugend darstellen. Das ist ihre besondere Kunst: ihre Wahrheit, eingebettet in die staatsfrauliche Verantwortung, politisch umzusetzen. Und dafür Mehrheiten gewinnen, manchmal auch mit uneigennützigen Kompromissformeln. Der Eigennutz blieb in der Handlungsfähigkeit. Das Notwendige und das Machbare gestalten. Gerade in Krisenzeiten können diese Fähigkeiten das Arbeiten erleichtern.

 

Wir schaffen das“ und das aktuelle Corona Mahnwort „Öffnungsdiskussionsorgien“ entstammen der gleichen Logik, das für sie Richtige anpacken und konsequent befolgen. Es ist zugleich Ausdruck ihres ureigenen Verantwortungsgefühls. Doch nicht immer erfährt sie dafür Mehrheiten. Andersmeinungen gehören zur Demokratie, das wird sie respektieren und doch versucht sie es aktuell mit fast präsidial anmutender Autorität zu übertrumpfen. Aus innerer Überzeugung.

 

Spätestens die Historiker werden beurteilen, was uns die Ära Merkel bedeutet haben wird. Festzuhalten wäre aus meiner Sicht: Krisen kann sie. Dann ist sie am stärksten wahrnehmbar, Menschen vertrauen ihr und ihrem Führungsgeschick. 16 Jahre lang haben wir diese Art von Sicherheit offensichtlich mehrheitlich gebraucht. Der Markt war da, sozusagen. Doch die Kehrseite ist, wir haben visionäre und innovative Anstöße vermisst. Digitalisierung, Bildungssystem, ökologischer Wandel, Klimapolitik und die Vision Europa mögen dafür markante Beispiele sein.

 

Markentechnisch - und ich hoffe, das diskreditiert jetzt nicht den Menschen Angela Merkel – kann man es vielleicht so beurteilen: die Marke wurde mehr taktisch geführt und traf mit ihrem Angebot den Bedarf des Marktes. Ihr Können wurde zu einem vertrauensvollen Angebot. Doch der Markt wandelt sich, neue Lösungskonzepte sind gefordert. Sie war und ist die richtige in ihrer Zeit. Man wusste, was man bekommt, doch jetzt wird auch etwas Neues gebraucht.

 

Und dies ist die Aufgabe der übergeordneten Marken, der Parteien. Der Dachmarken. Und auch deren Profile müssen noch geschärft werden für den nächsten Markttermin, der Bundestagswahl 2021. Und für die nächste Kanzlermarke.

 

Foto: Maret Hosemann auf Pixabay

Tags: Politik

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