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KW 19 · 16. Mai 2020 · Sport

Mehr als Fußball

Foto Mehr als Fußball

Nach Corona kommt die Bundesliga. Und dann vielleicht noch die Konjunkturprogramme und die Krisen Lockerungsdebatten. Zumindest bezogen auf das mediale Interesse in den nächsten Wochen.

 

König Fußball wird wieder in aller Munde sein. Doch in diesen heiklen Zeiten schmeckt es berechtigterweise nicht allen gut, was da jetzt passiert. Auch ich, als leidenschaftlicher Fußball Fan, sehe die Aufnahme des Geisterspiel Prozederes skeptisch, denn es macht den Fußball augenscheinlich zu einem Kunstprodukt. Teil der Unterhaltungsbranche, so wie Let’s Dance auch ohne Publikum durchgezogen wird, auch für dieses Format sind die Commercials vorab teuer verkauft worden.

 

Mein Blog behandelt ja Marken, Marken des Alltags. Wie hat sie es also geschafft, die Marke Bundesliga, diesen von vielen als Sonderbehandlung eingestuften Weg politisch und behördlich durchzusetzen?

Für mich ist deutlich, dass die Verankerung dieser Marke in der Gesellschaft ein unverzichtbarer Wert dafür ist. Es sind nicht die Marken DFB, DFL, Seifert, Sportschau oder Sky – keiner dieser Marken hätte man die umstrittene Erlaubnis zugebilligt. Kein Politiker hätte sich dafür verwendet, obwohl das Umsetzungskonzept jeweils das Gleiche gewesen wäre.
Auch den Vereinen wäre es nicht gestattet worden. Weder Bayern München noch dem SC Paderborn. Tragfähig machte es nur die gewachsene bundesweite Durchsetzung über viele Jahrzehnte. Basis ist der Fußball selbst, die „wichtigste Nebensache der Welt“. Fußball ist heute mittendrin in unserer Gesellschaft, wurde aber erst über die Zeit gesellschaftsfähig. Und DAS ist die eigentliche Leistung der Marke Bundesliga.

 

Klar, die DFL als wirtschaftlicher Betreiber hat letztlich die Genehmigung erwirkt. Wie ein Unternehmen, das Markenprodukte vermarktet, hat man durch Geschäftsführer Seifert und weitere Stakeholder für sein Vorzeigeprodukt um Vertrauen geworben.
Das verantwortliche Gesamtkonzept ist die Vertrauensgrundlage. Selbst auferlegte und bezahlte Quarantäne-, Hygiene-, Kontakt- und Sicherheitsauflagen. Alles bis zum Letzten durchgeplant – in der Hoffnung, dass über die Zeit der noch zu spielenden gut 80 Spiele nichts passiert.

Viele sagen, das wäre wie bei anderen Branchen auch, jede habe das Recht und die Möglichkeit, den wirtschaftlichen Betrieb wieder aufzunehmen. Stimmt, jede Branche strebt berechtigterweise danach. Doch überall gelten Abstands- und Hygieneregeln als Gradmesser für eine Erlaubnis. Und jede Branche, die ein Konzept ähnlicher Güte wie das der Profiliga vorlegt, hätte eine solide Grundlage.

 

Ein Dilemma bleibt jedoch. Die Bundesliga agiert nicht wie manch andere Wirtschaftsbereiche in einem Closed Shop, in einem umschlossenen Wirtschaftsraum, sondern man zeigt sich öffentlich. Und hierin liegt die Sonderbehandlung, zumindest was das Timing und die politische Rückendeckung anbelangt. Gleichzeitig werden Sonderformen gestattet: Abstandsregeln gelten nicht, Mundschutz nicht erforderlich und bei auftretenden (und schon geschehenen) Positivbefunden wird zunächst nur der Einzelne in Quarantäne geschickt, während in der sonstigen Gesellschaft immer noch strengere Maßgaben gelten.

 

Unverständlich, mindestens für alle, die dringend auf Lockerungssignale warten und existenziell darauf angewiesen sind, ein in Bahnen wieder als normal zu nennendes Alltagsleben aufnehmen zu können. Entlarvend für alle, die den Fußball immer schon distanziert gegenüberstanden oder wegen der Auswüchse zunehmend kritisch gesehen haben. Und in den Augen vieler, die sich um die soziologischen und psychologischen Auswirkungen auf die gesellschaftliche Solidarität große Sorgen machen, äußerst kritisch.

 

Und doch, heute geht’s wieder los. Der Ball rollt. Die Bundesliga hat eine Bedeutung in unserer Gesellschaft. Und mit meiner Markenbrille möchte ich ausdrücklich sagen: es ist nicht der Profisport, der hier gerettet werden soll. Hierfür hätten sämtliche Kulturtreibende mindestens einen ähnlichen Support verdient. Und 55.000 Arbeitsplätze sind auch in anderen Branchen gefährdet.

 

Es geht um die Bewahrung von Werten. Fußball ist unser Volkssport Nummer eins. Das war sicher nicht immer so, lange war Fußball etwas stigmatisiert, von vielen eher als ‚unterschichtig‘ abgetan. Der Weltmeistertitel 1954, völlig unerwartet und legendenhaft erspielt, gab der Nation nach langen dunklen Jahren in Zeiten des Wiederaufbaus einen kollektiven Schub. Ein großer Schritt für den Fußball in unser aller Leben. Zehn Jahre dauerte es noch bis zur Gründung der Bundesliga. Bis dahin blieb Fußball ein Bewerb auf primär regionaler Ebene. Fünf Oberligen sorgten für viele lokale Wettkämpfe mit wachsendem, öffentlichem Interesse. So wie der Fußball eben ist, überall wird er gespielt. In vielen kleinen Vereinen, überall mit dem Antrieb, sich sportlich zu verbessern und in eine höhere Spielklasse aufzusteigen. Diese durchgängige Leistungsstruktur ist die eigentliche Basis des deutschen Fußballs. Meisterschaften wurden bis 1963 gut 50mal in Form von Endspielen entschieden, nachdem sich die besten Mannschaften aller Oberligen in Ausscheidungsspielen dafür qualifizierten.

 

Die Bundesliga hob alles auf ein neues Niveau. Erst mit 16, später mit 18 Mannschaften wurde die Deutsche Meisterschaft auch sportlich aufgewertet. Die Stadien wurden größer, neue Medien sorgten für die Verbreitung. Die Strukturen wurden professioneller. Es wurde ein durchgängig sportlicher Wettbewerb. Teil der Eliteliga zu sein, erfüllte jeden Verein, jede Region, mit Stolz. Die Durchlässigkeit blieb dafür ein unverzichtbares Element. Jeder gut geführte Verein hatte im Prinzip die Möglichkeit dazuzugehören. Auch heute noch: Fürth, Darmstadt und Paderborn sind dafür die letzten Beispiele. Und vielleicht schon bald auch Heidenheim.

 

Die Vereinsstruktur ist es, die Wechselwirkung von Leistungs- und Breitensport, die die tiefe Verankerung in unserer Gesellschaft ermöglicht. Die Liebe zum Verein, die tiefgreifende persönliche Identifikation mit dem Lieblingsclub haben für eine wachsende Fankultur gesorgt.

Die große mediale Präsenz und die wirtschaftlichen Konsequenzen sowie deren Wechselwirkungen verdienten einen eigenen kontroversen Artikel. Doch ich bin sicher: wenn es die tiefe kulturelle Verankerung des Fußballsports nicht gäbe, wäre die Bundesliga nicht mehr diese wertvolle Marke. Manche mögen den Wert dieser Marke eher im Vermarktungsvolumen bemessen, der im Investitionsumfang der Sponsoren und TV-Sender errechnet werden kann. Und genau darum geht es den Verantwortlichen jetzt ja auch primär: das Erwirtschaften der letzten 300 Millionen Tranche der ‚Verwertungsrechte‘. Doch Vorsicht: das ist nur ein Bewusst-Macher. Die Werte liegen woanders.

 

Möge das Vorhaben, die Saison mit Geisterspielen zu Ende zu bringen, also gelingen. Das rettet auch die ursprünglichen Werte. Möge keiner der Spieler und sonstigen Beteiligten erkranken. Möge das Bundesliga Beispiel Ansporn für andere Branchen und gesellschaftlichen Bereiche werden. Und möge dieses ‚Experiment‘ unsere Gesellschaft nicht entzweien.

 

Und mögen die Verantwortlichen die richtigen Lehren für die Zukunft erkennen. Unterhaltungsbranche ja – aber nur auf Basis eines fairen, sportlichen Wettkampfes. Die Bundesliga vereint die Interessen aller sportlich Handelnden. Sport vor Kommerz, nur das stärkt die gesellschaftliche Verankerung.
50+1 ist eine wertvolle, deutsche Errungenschaft.

 

Foto: CoxinhaFotos auf Pixabay 

Tags: Sport

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