Die Positionierung
der Woche

Kommentare und Beobachtungen
aus dem Marketing

KW 26 · 01. Juli 2020 · Kultur, Marke, Sport

HSV - Hamburgs Stolzer Verein

Foto HSV - Hamburgs Stolzer Verein


Aus aktuellem Anlass unterbreche ich meine Trilogie und nehme die Marke HSV ins Visier.


Dabei muss ich aufpassen, nicht zu polemisch zu werden. Denn im Moment gibt es fast überall nur noch Häme und Spott für den einst so stolzen Verein. Als Herzblut Fan von Borussia Mönchengladbach und tendenziell auch Werder Bremen und dem FC St. Pauli näherstehend, erlebe ich mich selber auch dabei, diese Schadenfreude zu empfinden. Doch – ich habe so viele Freunde und Bekannte um mich herum, die wirklich leiden. Als Unternehmensmarken Entwickler werde ich jetzt also diese Marke einmal sehr sachlich und fachlich und mit Respekt hinterfragen.

 

Kann ein Verein eigentlich stolz sein?
Unbedingt. Denn ein Verein wird getragen von Menschen. Von Akteuren, Interessierten, Engagierten, Wohlmeinenden, Beobachtenden, Nutznießenden. Von den Erlebnissen und den Erinnerungen. Von der Kultur des Miteinanders, von der Güte des Angebotes und von Werten, an die man glaubt.

Stolz sind also die Menschen. Stolz auf die Werte, die Historie, die Erfolge, das Ansehen (Image). Stolz auf die Dinge, die wir tun…
Tja, hier gibt es in Hamburg den Bruch. Wie bei Marken, die ihre Kunden enttäuschen. Das Vertrauen wird zerstört, die bedingungslose Gefolgschaft (Loyalität) wird aufgekündigt oder beginnt zu bröckeln.

 

In meinem Verständnis sind Unternehmen – und damit automatisch auch die Unternehmensmarken – systemische Gebilde, deren Kraft erst durch das Wechselspiel zwischen Senden und Empfangen entsteht.
Marke als gelebte (Kunden-)Beziehung. Und eine gelebtere Marke als den HSV kann ich mir kaum vorstellen. Hundert Tausende, ach, über die Jahrzehnte sicher auch „Millionen von Menschen“ begleiten diesen HSV emotional und aktiv. Ja, sie sind Teil von ihm. Wie bei anderen Kultvereinen auch, wird diese Genese erblich weitergegeben, von Generation zu Generation. Solange alles stimmig ist.

Eine Marke existierte ja gar nicht, wenn es keine Anhängerschaft gäbe. Beim HSV ist dieses Phänomen besonders ausgeprägt. Aufgeladen über viele Jahrzehnte sportlicher Erfolge. Titel und Triumphe, Legenden wie Seeler, Keegan oder van der Vaart. Bundesliga und Europapokale. Emotionaler Nährstoff für die Substanz dieser Marke. Tief drin in uns allen.

 

Der HSV war bedeutend. Vieles war ohne den HSV gar nicht vorstellbar. Bundesliga? Gründungsmitglied! Meister! Dino! Selbstverständnis.
Und dann der Tag des Unfalls. Abstieg 2018.

Unfall? Nein, es war ja ein schleichender Prozess über Jahre. Letztlich sogar konsequent vorhersehbar. Wie konnte es dazu kommen? Viele werden spontan antworten: Schulden, weniger Geld, schlechtere Spieler, Unruhe im Verein, permanente Wechsel in der sportlichen Führung. Und Erwartungsdruck. Richtig, aber für mich auch nur Symptome, nicht die Ursache.

Ich möchte mir nicht anmaßen, von außen die wirtschaftlichen und sportlichen Entscheidungen über die Jahre beurteilen zu können. Ich kann hier nur meine Marken-Prinzip-Brille anlegen und mit dieser blicke ich auf die drei Handlungsebenen der Marken- und Unternehmensführung. Von innen nach außen: Motiv-Ebene, Aktions-Ebene und Resonanz-Ebene.

 

Umgekehrte Reihenfolge: außen ist alles chico. Mehr Resonanz für das, was ‚von innen‘ geboten wird, kann es gar nicht geben. Diese Leidensfähigkeit, diese Loyalität – unvergleichlich. Das schafft nur der Fußball. Normale Marken wären tot. Wo gibt es das sonst, dass die Haltung draußen stimmiger ist und bleibt als innerhalb des Unternehmens.

Auf der Aktionsebene sieht man die Unstimmigkeit über Jahre. Und ich spreche hier nicht über Einzelphänomene wie die Abberufung eines Vorstandsvorsitzenden. Wenn es hier nur einen singulären Fall gegeben hätte. Nein, es ist ein Muster auf allen Bereichen. Vorstand, Aufsichtsrat, Vereinsvorsitzende, sportliche Leiter (mit welchem Amtstitel auch immer), Marketingleiter, Presseabteilung, Scouts, Trainer, Spieler. Wie kann das sein?

 

Angefangen hat es, so glaube ich, in der Renaissance des sportlichen Erfolges in den Nullerjahren des neuen Jahrhunderts. Da schnupperte man wieder an der ganz großen (europäischen) Fußballwelt. Verständlich, dass in dieser Phase auch visionäre Gedanken zur perspektivischen Weiterentwicklung aufkamen. „Der HSV gehört in die TOP20 Europas“ war die Richtung. Ruud van Nistelrooy, holländischer Weltstar, fällt mir gerade ein, ein absolut passendes Symbol dafür.
Leider verliefen das wirtschaftliche Gebaren und die sportliche Entwicklung nicht synchron.

Die passende Lösung: Ausgliederung des Profibereichs, Aufbau einer neuen Management Struktur zur Etablierung höherer Wirtschaftsschlagkraft (als Basis für die sportliche Performance). Das Startsignal für Grabenkämpfe zwischen den Gremien. Und ohne hier als Vereinsromantiker verschrien werden zu wollen, es wurden Traditionen und Werte durchschlagen. Die Identität beschädigt. 

Auch ich habe ein Sportlerherz und weiß, wie die HSVer die Zweitklassigkeit empfinden. Habe es selbst mit der wahren Borussia erlebt. Als Markentechniker kann ich es mir aber leicht machen: die Qualität der Unternehmensführung ist nicht primär abhängig von irgendwelchen Vergleichsrankings wie Sporttabellen. Ob ich (temporär) auf Platz zehn oder fünfundzwanzig stehe, darf meine (gesicherten) Prinzipien nicht außer Kraft setzen. Beim Fußball passiert das allerdings immer wieder. Doch nicht beim SC Freiburg.

 

Beim HSV hingegen wurden Anspruch und Wirklichkeit nicht in Einklang gebracht, persönliche Eifersüchteleien und Ränkespiele zerstörten fortlaufend die organisatorische Reifung. Externe Geldgeber nahmen operativen Einfluss. Top-Manager hatten keine uneingeschränkt freie Hand für notwendige Entscheidungen. Marionettenhaftigkeit, Trägheitsmomente, Alibi-Entscheidungen verschlechterten den Fortgang.
Sind wir sicher, dass die aktuelle Konstellation auf der Handlungsebene robuster aufgestellt ist?

Das ernüchternde 1:5 gegen Sandhausen wirft erst einmal einen dunklen Schatten auf diese Frage.
Schon wieder ist das „sportliche System kollabiert“, wie es auch vor einem Jahr intern beurteilt wurde. Erkennbar an der Last zerbrochen. Wie mehrfach - und nicht nur in diesem Jahr.

 

Und hiermit komme ich auf den innersten Bereich: die Motiv- oder Antriebs-Ebene.
Was treibt uns an? Die Lust, das Spiel zu gewinnen, war es am letzten Sonntag zumindest nicht. Die Chance aufzusteigen? Nein. Der sportliche Ehrgeiz hatte keine reelle Chance mehr.
Reflexartig fragt man, haben wir die falschen Spieler? Den falschen Trainer? Den falschen Sportdirektor? Und überhaupt.

Vielleicht. Aber woran kann man das fest machen? Nach einer Niederlage, nach der Zahl der persönlichen Fehler? Dann müsste man diese Frage ja gegebenenfalls jede Woche neu orientieren.
Nein, beantwortet ganz sauber: warum machen wir das (was wir machen), was treibt uns an?

 

Und die Antwort scheint simpel: weil wir der Hamburger SV sind. Weil wir uns dem sportlichen Wettkampf stellen und ehrgeizig sind. Wir wollen uns und unseren Anhängern zeigen, dass wir alles für unseren HSV tun.
Das ist keine Binse und keine semipsychologische Stütze. Es ist der unverzichtbare Kern. Im sportlichen Wettkampf darf man verlieren. Sport ist eine Begegnung des Respekts.

Fangt nicht vor der Saison an zu schwadronieren, es sei ja „egal, wer hinter uns Zweiter wird“. Ihr müsst nicht beim Auflaufen an den Aufstieg oder die sicher folgende Europa-League denken. Seht zu, dass ihr das Stadtderby gewinnt. Das macht euch ja schon ein bisschen mehr zum Hamburger Sport Verein. Versucht in Aue und Fürth zu gewinnen. Nehmt dem Trikot die Bürde. Macht klar, wofür Ihr steht und tragt es mit Stolz.

Und all dies ist nicht gemünzt auf die (armen) elf Spieler. Es ist gemünzt auf alle, die auf der Handlungsebene für den HSV agieren. Auch der Telefon-Service braucht eine klare Orientierung, wie mit Werten und Zielen umgegangen wird. Doch diese identitätsprägende Eindeutigkeit müsst ihr euch selbst erschaffen. Auf allen Ebenen. Nur so kann eine gesunde Zielstrebigkeit entstehen.

Der HSV ist bedeutend. Für viele, die an ihm hängen. Mit Leidenschaft.
Macht es für sie. Und meine Freunde. Macht sie wieder stolz.

 

HSV – Hamburgs Stolzer Verein.

 

Übrigens: Lukas Hinterseer muss kein van Nistelrooy sein. Wenn die Mannschaft alles gibt, wird er genauso verehrt.

 

Foto: Eigengrafik 

Tags: Kultur, Marke, Sport

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