Die Positionierung
der Woche
Da saßen sie nun, die drei offensichtlich Vertretungsberechtigten von Hertha BSC und mussten das Unerwartete, das Unerhörte, ja das Unerklärliche kommentieren. Jürgen Klinsmann ist weg – Knall auf Fall.
Wie konnte das passieren, was bedeutet das für die Zukunft?
Und was bedeutet das für die Marke Hertha BSC? Wofür steht diese überhaupt? Es war also eine wunderbare Gelegenheit, bundesweit mit einer Live-PK die Hertha Positionierung zu erklären. Und die Antwort kam dreigeteilt, so wie sie dasaßen: der Vereinsverantwortliche, der Investor und der Geschäftsführer Sport.
Selten hatte Hertha so viel Aufmerksamkeit. Überhaupt: was weiß man, was ist im Gedächtnis von der Hertha? Ich kann mich an eine gute Phase mit Spielern wie Beer und Kliemann (nicht Klinsmann) erinnern – aus den Siebzigern. Danach? Sporadische Highlights, aber ohne wirklich nachhaltige, bundesweite Erfolge. Man muss nachschlagen, um Meisterschaften zu belegen. Und die gab es tatsächlich: 1930 und 1931. Danach nichts für den Briefkopf. Der größte Schmerz dürfte darin liegen, dass seit 1985 das deutsche Pokalfinale jährlich im eigenen Wohnzimmer stattfindet, ohne dass die Heimmannschaft sich jemals hätte qualifizieren können. Doch, Moment: die eigene zweite Mannschaft, damals noch Amateure genannt, qualifizierte sich 1993 für das Endspiel und verlor ehrenhaft. Im Stadion, das auch die deutsche Nationalmannschaft regelmäßig für Fußballfeste nutzt und wo sogar die Sommermärchen-WM ihr würdiges Ende fand.
Ja, die Sehnsucht ist groß beim Hauptstadtclub. „Die Zukunft gehört BERLIN“ stand plakativ hinter den drei Protagonisten dieser PK. Jürgen Klinsmann wollte sie gestalten, die fußballerische Zukunft. Weit mehr als es sein Auftrag war. Es mag an der Eigentümlichkeit der Marke Klinsmann liegen, dass diese Konstellation nicht gepasst hat. Es ging um Macht und für Klinsmann heißt das oft Allmacht, so wirkt es.
Es erinnert mich an eine Markenmacht Kollision aus den Achtzigern: der Tennis-Rebell Agassi und das altehrwürdige Wimbledon. In Wimbledon spielte man nicht nur auf Gras, man achtete auch auf Etikette. Man spielte in Weiß oder besser gesagt: man hatte in Weiß zu spielen. Der aufstrebende Agassi, berühmt für seine bunten, damals schrägen Outfits, begehrte auf. Doch er bekam keine Zulassung und musste sich letztlich fügen. Das tat er – und spielte in Weiß, allerdings mit auffälligen, farblichen Akzenten. Die stärkere Marke hatte sich durchgesetzt, dadurch wurde es ein sichtbarer Kompromiss und öffnete die Türen für durchaus liberalere modische Entwicklungen. Aber Wimbledon ist auch heute noch „altehrwürdig“ – mit allen Anpassungen an die Veränderungen der Zeit.
Die „alte Dame Hertha“ steht ebenfalls vor entscheidenden Fragen. Die von den drei Vertretern immer wieder betonte Neuausrichtung soll im Einklang geschehen. Lars Windhorst, Investor von bislang stolzen 224 Millionen Euro ins Eigenkapital, wie von ihm mit leuchtenden Augen verkündet, sieht das Potential. Sein (!) Antrieb ist es, Hertha zu einer nachhaltigen Größe in Fußball Europa zu entwickeln. Er hat einen klaren Zeitplan, der wenig Raum für mittelfristige Entwicklungen lässt. Die Zukunft fängt sofort an, spätestens nach dem lästigen Abstiegskampf zum Ausklang dieser Saison. Er beharrt auf ein Commitment aller Verantwortlichen, das Wort sei ihm gegeben worden. Er ist, und dafür hat er vier Sitze im Aufsichtsrat, der Antreiber. Er wird alles tun, dass die Ziele angegangen werden und lässt keine Ausreden gelten. Markante Worte, zielstrebig aber durchaus reflektierend vorgebracht.
Doch dahinter steht auch Druck. Werner Gegenbauer, der die Werte und die Kultur des Vereins und damit auch die Interessen von rund 37.000 Mitgliedern vertritt, war ein deutliches Unbehagen anzumerken. Nicht im Bekenntnis zu den Zielen, auch nicht bezüglich des persönlichen Verhältnisses zu Lars Windhorst, aber spürbar im Umgang mit der durch Klinsmanns Demission entstandenen Situation und der noch gesuchten Maßhaltung, was die Umsetzungsschritte anbelangt. Und er zog eine Lehre, zukünftig müsse man noch sorgfältiger darauf achten, wer zur Hertha passe, niemand dürfe „zwei Hüte“ aufhaben.
Deutlich wurde, dass die Integration dieser neuen Konstellation noch nicht vollzogen ist. Die operativen Schritte wurden angetrieben, ohne dass sich Struktur und Kultur auf das Neue einstellen konnten.
Und das ist das Hauptproblem für Michael Preetz, dem sportverantwortlichen Geschäftsführer. Er muss das Tagesgeschäft managen und gleichzeitig die Zukunft gestalten. Sein Naturell, aber auch seine in 34 Jahren angesammelte Erfahrung im Profifußball mahnen zu Recht behutsame Schritte an. Fußball ist nicht wie andere Bereiche kalkulierbar und steuerbar, aber beeinflussbar. Er steckt in einer Zwickmühle, sich einerseits zu den großen Ambitionen zu bekennen, beim Verweis auf die kurzfristigen Herausforderungen aber nicht seine persönliche Glaubwürdigkeit zu verlieren. Und dabei ist er der einzige echte Profi. Er braucht das Vertrauen, aufbauend auf einem klaren Konzept, das mehr sein muss, als Geld für Neuzugänge auszugeben. Jürgen Klinsmann hat ihm die Partnerschaft aufgekündigt – mit dem unterschwelligen Vorwurf, er könne es besser. Das hat Schaden angerichtet, für das Image der Hertha und das Renommee der handelnden Personen.
Die Pressekonferenz hat drei ehrliche Menschen im Wirken für Hertha BSC gezeigt. Aber keine Eindeutigkeit im Auftreten. Deutlich wurde der Wandel, der sich gerade vollzieht, so wie es bei vielen Proficlubs passiert, die Vereinstradition mit Wirtschaften einträchtig verbinden wollen.
Es sind Ambitionen deutlich geworden, aber keine Position. Schlecht für jede Marke. Die Werte des 128-jährigen Vereins finden zu wenig Beachtung. Zur Identität gehört immer auch die Herkunft.
Ansonsten hätte Lars Windhorst ja auch irgendwo anders investieren können. Oder Union Berlin könnte die fußballerische Zukunft Berlins sein, zumindest in der Markenprägung scheint der Nachbar im Moment stimmiger.
Der Klinsmann Knall macht deutlich, dass es eine Weiterentwicklung von Anspruch und Wirklichkeit im Einklang braucht. Sonst wird der Slogan niemals geändert in „Die Gegenwart gehört Berlin“.
Tags: Sport
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